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Altersdiskriminierung überwinden - Generationen verbinden

Sabine Schweigert • Apr. 20, 2021

Der lange Weg zum post-demografischen Denken

Generationsstrukturen im Wandel – ein langer Weg

Die Altersstruktur der Gesellschaft weltweit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Die Lebenserwartung steigt, der Anteil alter Menschen wächst. Ein Blick auf Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen beispielsweise für Deutschland, dass der Bevölkerungsanteil der Menschen über 60 Jahre von 19,3% im Jahr 1979 auf 28,5% im Jahr 2019 gestiegen ist. Dies liegt nicht nur an den mehr oder minder rückläufigen Geburtenraten, sondern auch und vor allem an einer zunehmenden Langlebigkeit (siehe auch hier) . Eine Langlebigkeit, bei der sich die Senioren zudem verstärkt an Gesundheit und Vitalität erfreuen.


Lebensstil statt Lebensalter

Diese zunehmende Fitness, gepaart mit wirtschaftlicher Sicherheit, hat den Menschen im Nachkriegsdeutschland bis heute ermöglicht, den eigenen Lebensstil progressiv zu ändern. Freizeit, Wohlbefinden und Selbstverwirklichung haben einen großen Stellenwert, auch und gerade unter Personen in der zweiten Lebenshälfte, die die meisten Pflichten des Lebens bereits erfüllt haben. Mit wachsendem Selbstbewusstsein entwickelt sich die derzeitige Generation der Boomer weg vom klassischen Bild der Vor-/ Ruheständler. Und ehrlicherweise muss man sagen: bereits ein guter Teil der Eltern dieser Generation lebt ein neues, positives Altern vor.

An Letzteren ist auch besonders deutlich ersichtlich: Während die einen schon wagen, „anders“ zu sein, als die Senioren vor wenigen Jahrzehnten, so sind andere noch im stereotypisierten Rentnerdasein und Verhaltensmuster verankert. Ein jeder, wie er kann und mag. Weniger breit gefächert ist weiterhin der Blickwinkel der Gesellschaft auf diese Senioren. Gerne pauschalisiert sie die „Alten“ als konservativ, als „gebrechlich, hilfsbedürftig und schützenswert“, manchmal auch als ein bisschen „niedlich“, wenn sie dann tatsächlich körperlich und geistig abbauen.

Nur langsam setzt sich ein Bild der neuen Alten, ja sogar der neuen Altersstrukturen der Gesellschaft insgesamt durch. Ein Bild, in dem die Grenzen zwischen Generationen aufweichen und Gruppierungen nicht über ihr Alter, sondern über Lebensstil und Werte definiert werden und zusammenfinden. Ein passendes Wort ist dafür schon geschöpft: Post-Demografie . Was zählt ist nicht das anagrafische Alter, sondern die Seelen- und Sinnesverwandtschaft der Menschen innerhalb einer Gruppierung.

Der Begriff Post-Demografie wird vorrangig im Zusammenhang mit Konsumverhalten eingesetzt, aber er hat auch auf gesellschaftlicher Ebene großes Potenzial: das einer generationsübergreifenden Verständigung, Kooperation und Solidarität von Menschen.


Hürde Altersdiskriminierung


Doch so sinnvoll, achtsam und wertschätzend der Denkansatz der Post-Demografie sich ankündigt: der Übergang von klassischen Denkmustern in altersbezogenen Stereotypen hin zu diesem werte- und menschenzentrierten Bild der Gesellschaft ist nicht für jedermann gleich leicht. Unabhängig von sozialer Herkunft, Bildung, und persönlichem Werdegang ist es kein Einzelfall, dass sich Menschen in der zweiten Lebenshälfte altersbedingt abgehängt fühlen. Globalisierung, Technologisierung und Digitalisierung, Mode, Fitness und Schönheit… wer aus irgendeinem Grund nicht Schritt halten kann, fühlt sich gerade von Jüngeren schnell abgehängt und schottet sich ab. Umgekehrt fallen gegenüber Senioren gerne mal relativierende Kommentare wie „noch fit“, „schön für ihr/sein Alter“ und Metaphern wie das „alte Eisen“ sind noch längst nicht überwunden.

Während sich das Potenzial der Post-Demografie schüchtern abzeichnet, so ist das Stichwort „Ageism“ - Altersdiskriminiertung - tatsächlich gerade erst im Sprachgebrauch und in der Wahrnehmung angekommen. Es wird klar benannt: man traut den Alten weiterhin vieles nicht zu, investiert ungern in ihre Weiterbildung, setzt wenig auf ihr Engagement und ihre Expertise. Und dort, wo sich Lebensfreude und Pioniergeist bei Senioren manifestiert, taucht das Bild des Paradiesvogels auf oder das des beifallswürdigen Unikums.

Wie akut das Thema Ageism ist bestätigt schon die Tatsache, dass die UN gerade im vergangenen März einen Report hierzu veröffentlicht haben. Sie kommentieren ihn mit den Worten : „Der (…) von der WHO, dem Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR), der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN DESA) und dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) veröffentlichte Bericht fordert dringende Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersdiskriminierung und eine bessere Messung und Berichterstattung, um Altersdiskriminierung als das zu entlarven, was sie ist - eine heimtückische Geißel der Gesellschaft.“


Generationsübergreifende Wertegemeinschaften

Dabei ist klar: Altersdiskriminierung erfahren nicht nur Senioren, sondern auch die jungen Erwachsenen und viele andere Altersgruppen. Während die Senioren im Zugzwang sind unter Beweis zu stellen, dass sie ewig jung geblieben sind, um nicht mit Klischees behaftet und stereotypisch behandelt zu werden, so müssen die jüngsten unter den Erwachsenen beweisen, dass sie weise genug sind, um ernst genommen zu werden. Prägnant ausgedrückt: verkehrte Welt!

Wenn die Menschen einander für das annähmen und schätzten, was sie sind und, gemessen an ihren Prämissen, leisten können (nicht müssen), dann wäre der Blick frei für die wirklich wichtigen Dinge. Für Inhalte! Für Werte! Und für das, was im Business so schön „Purpose“ genannt wird. Die Sinnfrage, oder: was treibt uns an. Und dementsprechend: Wer zieht mit uns am gleichen Strang? Den Jungen gehört die Zukunft. Aber den Alten gehört die Erfahrung und nur wenn beide Gruppen im Sinne einer gemeinsamen Werteskala ihren Beitrag leisten, können zielführend gesellschaftliche Wege geebnet werden.


Wer andere stärken will, muss sich selbst stärken

Um eine vorbehaltslose Öffnung zwischen den Generationen zu ermöglichen, müssen alle Beteiligten einen gefestigten Selbstwert haben und/oder sich geschützt fühlen. Das gilt für Individuen genauso wie für Personengruppen. Nur wer sich selbst wahrgenommen, sicher und stark fühlt, wird anderen den Raum geben, sich zu verwirklichen und zu entfalten. Nur wer sich selbst liebt, wird andere lieben.

Organisationen wie die UN, Regierungen und andere Institutionen können ihre Reichweite und ihren Einfluss nutzen, um die Rahmenbedingungen für eine Welt ohne Altersdiskriminierung zu schaffen. Aber die innere Haltung und Sichtweise auf das Thema muss aus den Menschen heraus passieren.

An diesem Punkt setzt Methusalem an. Die Plattform will einen Raum für Menschen in der zweiten Lebenshälfte schaffen, in dem sie unter Personen mit ähnlichen Lebenserfahrungen und Zielsetzungen, Ängsten und Zweifeln sie selbst sein können, ohne Angst vor Be- oder gar Verurteilung. Haben sich diese Menschen einmal gefunden und gegenseitig durch gemeinsame Projekte, Unternehmungen und Erfahrungen (mehr dazu hier) gestärkt, so kann eine vertrauensvolle, konstruktive Öffnung gegenüber der Gesellschaft leichter Gelingen. Kann ein neues sozio-kulturelles Gefüge, das generationsübergreifend wirksam ist, entstehen.



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