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Zielgruppe „Menschen in der zweiten Lebenshälfte“

Sabine Schweigert • Aug. 15, 2021

Von der nicht immer einfachen und ernsten Suche nach einem Namen

Als wir, das Gründerteam von methusalem.rocks, auf der Suche nach einem geeigneten Namen für die extrem heterogene Zielgruppe unseres Projekt waren, stießen wir sehr schnell auf eine Problematik. Wie gelingt es, traditionelle Rollen- und Altersbilder zu überwinden, ohne neue Stereotype zu generieren? Wie kann man dem eigenen Lebensabschnitt Sinn und Wert einhauchen, ohne sich über andere Alters- und Gesinnungsgruppen zu erheben? Wie kann man Neues schaffen, ohne Bestehendes zu entwerten, geschützte Räume gestalten, ohne auszugrenzen? Die Antwort liegt in der Achtsamkeit und diese kann immer nur ein gesetzter Wert, eine Haltung und kein absolutes, messbares Ziel sein. 

Silber und Gold

Wenn man ein bisschen zum Thema „neue Alte“ recherchiert – womit das bereits einer der möglichen Namen für Menschen in der zweiten Lebenshälfte wäre -, dann findet man schnell die Silveragers, deren Präfix wohl der Haarfarbe geschuldet ist. So gesehen vielleicht der neutralste, weil offensichtlichste gemeinsame Nenner dieser Altersgruppe. Denn er bezieht sich auf ein Attribut, dem die wenigsten in der zweiten Lebenshälfte entgehen, ohne gezielt nachzuhelfen. Silver erinnert aber immer auch ein bisschen an eine Medaille, an eine Auszeichnung. Sind wir damit schon mittendrin in der Wertung? Und welche Altersgruppe trägt dann Gold?

Bestens

Na klar, die Best Agers! Der Name würde es ja suggerieren. Wobei Best Agers, ein weiterer der vielen Begriffe für Menschen in der zweiten Lebenshälfte, nicht darauf abzielt, andere Altersgruppen zu entwerten, sondern die zu den Best Agers gehörigen aufzufordern, an sich und an ihre Lebensphase positiv zu denken und zu glauben. Das beste Alter ist jetzt! Aber sollte das nicht jeder von sich behaupten, um ein kleines bisschen glücklicher und selbstbewusster zu leben? Und was passiert, wenn wir in diesem Lebensabschnitt dann eben doch sehr alt und vielleicht sogar gebrechlich werden? Haben wir dann immer noch die Kraft und den Glauben, uns zu den Best Agers zu zählen? Es wäre wünschenswert, aber so ganz überzeugend würde es wohl in unseren eigenen Ohren nicht mehr klingen.

Schubladen

Ausgehend von individuellen Ansprüchen und Charakteristika lässt sich die heterogene und numerisch große Gruppe der Menschen in der zweiten Lebenshälfte einfacher betiteln. Doch dies führt im Umkehrschluss wieder zu einer starken Selektion. Einem Schubladendenken. Zu den „Woopies“ – well-off older person – werden vor allem in Zukunft immer weniger Menschen zählen. Das aktuell häufig angestrengte Wort „Boomer“ bezieht sich nur auf die geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1955 und 1969 und wird schon jetzt nicht der gesamten Gruppe gerecht. Dann gäbe es da die Silverpreneure, die in der zweiten Lebenshälfte den Unternehmer in sich entdecken. Die Forever Youngsters möchten am liebsten gar nicht alt werden, werden sich begrifflich im Laufe der Zeit aber wohl oder übel doch an den Gedanken gewöhnen müssen, dass dieser Titel sich für den Einzelnen irgendwann überholt hat. 

Frei sein

Die Liste der Bezeichnungen, die die „neuen Alten“ in Kategorien organisieren, ließe sich noch lange fortsetzen und scheint an vielen Stellen durchaus passend. Übergreifend anwendbar ist jedoch keiner der Namen. Und keiner dieser Begriffe gibt uns Älteren die Freiheit, die wir uns doch so sehr wünschen. Freiheit im Sinne von: frei sein von Zwängen, Stereotypen, Verhaltensmustern, Pflichten. Wieder müssten wir uns entscheiden, für die eine Kategorie oder die andere. Wieder müssten wir uns messen an den anderen Mitgliedern unserer Kategorie. Aber waren wir darüber nicht längst hinweg?
Wir leben länger, sind länger fit. Die großen Meilensteine und Verantwortlichkeiten wie Ausbildung, Karriere, Familienplanung und Hausbau liegen hinter uns. Jetzt geht es noch einmal um uns. Um ein bisschen Wohlbefinden und Selbstentfaltung, um Achtsamkeit und sinnerfüllte Momente jenseits der Erwartungshaltung der Gesellschaft. Es geht um ein kleines bisschen Freiheit!

Die Free-Agers

Genau diesen Aspekt umarmt der Begriff Free-Agers. Es geht um Menschen, die sich von Zwängen frei machen und ihr biologisches Alter annehmen. Man wird langsam oder ist bereits alt, ohne in ein Denken von Endzeitszenario zu verfallen. Man pflegt und achtet sich, findet neue Tätigkeiten, Aufgaben und Hobbies. Man entbindet sich von Pflichten und treibt erfüllende Dinge voran. 
Die Free-Agers kämmen ihr graues Haar und loben sich, wenn sie beim Yoga immer geschmeidiger und kräftiger werden. Sie trainieren ihre grauen Zellen, setzen sich Ziele, finden sich schön. Und das alles, ohne Jugendwahn. Es ist ein befreites Denken und Empfinden, ein Überholen gesellschaftlicher Zwänge und Muster. Zugunsten von Achtsamkeit und Harmonie. Ganz unaufgeregt.

Positive Haltung

Ganz neu ist dieser Denkansatz nicht. Bereits zu Beginn des neuen Jahrtausends beginnt beispielsweise Dove, seine Hautpflegeprodukte für die ältere Generation neu zu benennen. Nicht Anti-Aging heißt die Devise, sondern Pro-Aging. Das Altern soll nicht verhindert, sondern positiv angegangen werden. Nicht verbissen jung bleiben, sondern entspannt älter werden macht uns langfristig zu zufriedenen Menschen.
Wir von Methusalem haben uns bei der Benennung unserer Zielgruppe bisher auf den sperrigen, aber treffenden Namen „Menschen in der zweiten Lebenshälfte“ konzentriert. Das darf so bleiben, doch auch Free-Agers als Begriff breiter zu etablieren erscheint uns sinnvoll und ansprechend. 

Gemeinschaft braucht Identität

Um eine Namensfindung unserer Zielgruppe werden wir von Methusalem nicht umhinkommen. Denn Gemeinschaften brauchen Identität, gemeinsame Nenner und Werte. Mit „zweite Lebenshälfte“ und „Freiheit“ sind bereits wichtige Elemente unseres Projekts Methusalem.rocks benannt. 
Und so freut sich seine graue Eminenz Methusalem darauf, hoffentlich schon bald Bezugspunkt, Anlaufstelle, Ratgeber für all diese Menschen, für Sie zu werden. Und mit einem liebevollen, ironischen Augenzwinkern auf die kleinen Tücken und großen Freuden der letzten Lebensphase zu schauen.


Photo by Ula Kuźma on Unsplash

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